Stellungnahme des NABU Delmenhorst zum Planungsproblem Wasserwerk vom 21.03.2024

Stellungnahme des NABU Delmenhorst zum Planungsproblem Wasserwerk 1

Der NABU Delmenhorst hält es für geboten, in der durch mangelndes Fachwissen und zu -
nehmenden Emotionalisierung geprägten Diskussion um den Bau eines neuen Wasser-
werks eine fachlich fundierte Darstellung und Bewertung sämtlicher bisher vorliegenden
gutachterlichen Erkenntnisse vorzunehmen.
1. Zusammenfassung

  Die weitgehend stabile Bevölkerungsentwicklung der letzten Jahre und die ak-

tuellen Bevölkerungsprognosen für Delmenhorst können das Erfordernis zur
Errichtung eines neuen Wasserwerks nicht begründen. Somit scheitert die
Sinnhaftigkeit sowie die haushalts- und planungsrechtliche Genehmigungsfä-
higkeit der Errichtung eines neuen Wasserwerks für Delmenhorst am Aus-
schlusskriterium des fehlenden Bedarfs.
  Die von einem Teil der Delmenhorster Bevölkerung erhoffte Lösung der Ver-
nässungsproblematik in der Graft und in den angrenzenden Wohnquartieren
wird durch ein neues Wasserwerk aufgrund der derzeitigen und sich zuneh-
mend verändernden hydrogeologischen Verhältnisse sowie der Folgewirkun-
gen des voranschreitenden Klimawandels nicht zu erreichen sein. Eine wirksa-
me Abhilfe kann hier nur über ein umfassendes und nachhaltiges Entwässe-
rungskonzept erreicht werden.
  Des Weiteren ist beachtlich, dass bisher nicht geklärt ist,
ob aufgrund der ungünstigen hydrogeologischen Verhältnisse an dem projek-
tierten Standort überhaupt Trinkwasser zu vertretbarem Aufwand gefördert
und aufbereitet werden kann, wie die erheblichen Nutzungskonflikte bei der Festlegung einer Wasserschutzgebiet-Verordnung zu lösen sind,
welche Konsequenzen das Versäumnis des nach kommunalen Haushaltsrecht
erforderlichen Wirtschaftsvergleichs von Alternativen auslösen wird.
Rat und Verwaltung der Stadt Delmenhorst sind jetzt aufgerufen, eine Überprüfung
der Entscheidung für ein neues Wasserwerk durch externe Gutachter zu veranlas-
sen.
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2. Erläuterungen
2.1. Benötigt Delmenhorst ein neues Wasserwerk?
Der derzeitige gesellschaftliche und politische Diskurs über die Planung und den Bau eines
neuen Wasserwerks für Delmenhorst hat sich in einer bemerkenswert aggressiven Intensi -
tät auf die Ängste um den Erhalt des wertvollen Baumbestandes in den Graftanlagen und
um Feuchtigkeitsschäden an den anliegenden Gebäuden fokussiert. Dadurch ist die Frage
nach dem Erfordernis eines neuen Wasserwerks in den Hintergrund getreten. Der NABU
Delmenhorst hatte bereits in seiner Stellungnahme vom 28.08.2020 zum Wasserrechtsan-
trag der Stadtwerke Delmenhorst (SWD) die Errichtung eines neuen Wasserwerks als nicht
bedarfsgerecht und als nicht zielführend für die Vernässungsproblematik in der Graft und
den anliegenden Wohnquartieren abgelehnt.
Es dürfte auch den Nichtkundigen bewusst sein, dass der Bau eines Wasserwerks pla-
nungs- und haushaltsrechtlich nur dann zulässig ist, wenn ein entsprechender Bedarf nach -
gewiesen wird. Die Bedarfsprognose aus dem Wasserrechtsantrag der SWD folgt dem
Runderlass des Niedersächsischen Umweltministeriums vom 29.05.2015 zur Mengenmäßi-
gen Bewirtschaftung des Grundwassers und kommt unter Berücksichtigung der dort unter
Punkt 3.1.1 aufgeführten Zuschläge zu einem formalen Bedarf von 5,6 Mio. m³/Jahr gegen -
über derzeit 4,2 Mio. m³/Jahr. Eine derartige Steigerung um 33% ist in der Praxis jedoch
unrealistisch, da das Versorgungsgebiet der SWD räumlich auf das schon dicht besiedelte
Delmenhorster Stadtgebiet begrenzt ist und die weitreichenden umweltpolitischen Rahmen-
setzungen zur Senkung des spezifischen Wasserbedarfs (z. Zt. ca. 125 Liter/Tag) unbe-
rücksichtigt geblieben sind.
Außerdem ist die bis zum Jahr 2025 prognostizierte Bevölkerungszahl von 87.000 Einwoh-
ner nicht haltbar. Der Nachweis hierzu ist in der o.a. Stellungnahme des NABU eingehend
dargelegt. Inzwischen wird die Position des NABU durch aktuelle Daten des Statistischen
Bundesamtes, des Landesamtes für Statistik Niedersachsen und der Stabsstelle Stadtent-
wicklung und Statistik der Stadt Delmenhorst bestätigt. So geht die Stadt Delmenhorst
davon aus, dass die Bevölkerungszahl von 81.063 (Hauptwohnsitz, Stand 31.12.2022) bis
zum 31.12.2030 keine großen Veränderungen erfahren wird.
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass das Statistische Bundesamt und
das Landesamt für Statistik Niedersachsen mit 78.385 (Stand 31.12.2022) deutlich geringe -
re Einwohnerzahlen als die Stadt Delmenhorst dokumentieren.
Durch die kriegsbedingte Zuwanderung aus der Ukraine hat sich die Bevölkerungszahl zum
31.12 2023 auf 81.669 erhöht. Dies ist ein temporäres Ereignis, das bei der Planung lang -
fristiger Versorgungsinfrastrukturen unberücksichtigt bleiben kann.
Die Unsicherheit bei der Ermittlung des Wasserbedarfs wird in einem Zitat aus dem Bewilli-
gungsbescheid der Stadt Delmenhorst vom 15.12.2022 (S.16) deutlich:
„Die demographische Entwicklung birgt gewisse Unsicherheiten, der tatsächliche Wasser-
bedarf ist deshalb in gewissen Abständen zu aktualisieren.“
Von Bedeutung ist auch ein von den SWD Ende 2014 in Auftrag gegebenes Rechtsgutach-
ten, welches davon ausgeht, dass die Erlangung einer wasserrechtlichen Genehmigung für
ein neues Wasserwerk in der Graft aufgrund des fehlenden Bedarfs „so gut wie ausge-
schlossen“ ist.
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Als der für die Wasserversorgung der Stadt Delmenhorst verantwortlicher Akteur stellen die
SWD in dem Erläuterungsbericht zu dem Wasserrechtsantrag vom 20.05.2019 fest, dass
durch das Wasserwerk „Annenheide“ mit einer Förderung von 3,2 Mio. m³/Jahr zusammen
mit der Wasserlieferung von 0,9 Mio. m³/Jahr durch den Oldenburgisch-Ostfriesischen
Wasser-verband (OOWV) eine umfangreich modernisierte, nachhaltig und zukunftssicher
ausgerichtete Trinkwasserversorgung für Delmenhorst hergestellt worden ist. Inzwischen
hat der OOWV signalisiert, dass eine Verlängerung des 2029 auslaufenden Liefervertrages
möglich ist.
Insgesamt ist also festzustellen, dass die Errichtung eines neuen Wasserwerks in Delmen-
horst aufgrund fehlenden Bedarfs planungsrechtlich und fiskalisch nicht zu vertreten ist.
2. 2. Ist der projektierte Standort zur Trinkwasserförderung geeignet?
Obwohl der fehlende Bedarf ein hinreichendes Ausschlusskriterium für den Bau des neuen
Wasserwerks darstellt, werden hier noch einmal weitere Argumente dargelegt.
Die Stadt Delmenhorst kann mit seinem Wasserwerk „Annenheide“ mit 3,2 Mio. m³/Jahr
Trinkwasser den Bedarf zu 78 % abdecken, der Rest von 22 % (0,9 Mio. m³/Jahr) wird
durch Zulieferung durch den OOWV abgedeckt. Der Wasserrechtsantrag ist auf eine Förde-
rung von 2,4 Mio. m³/Jahr Wasser ausgerichtet, der reale Restbedarf liegt jedoch bei ledig-
lich 0,9 Mio. m³/Jahr. Hier stellt sich die Frage, wie für lediglich 0,9 Mio. m³/Jahr Trinkwas -
sergewinnung die Errichtung eines neuen Wasserwerks in der Größenordnung von 30 Mio.
Euro Baukosten verantwortet werden kann.
Des Weiteren ist beachtlich, dass der Wasserrechtsantrag auf eine Wasserförderung aus
tieferen Schichten des Grundwasserkörpers (ca. 60 – 70 m uGOK) angelegt ist, um mög-
lichst wenig Oberflächenwassereinfluss im Rohwasser zu haben und die ohnehin exorbitant
hohen Aufbereitungskosten nicht ins Unermessliche zu treiben.
Eine Erkundungsbohrung im Jahr 2020 hat ergeben, dass die grundwasserleitenden eis-
zeitlichen Sande nur bis ca. 40 m vorliegen (genaue Meterzahl je nach Standort etwas un -
terschiedlich). Unterhalb davon befinden sich nur noch Schluff und fester Ton aus dem Ter-
tiär, die nicht zur Grundwassergewinnung geeignet sind. Eine Wasserförderung kann also
nur in Tiefen bis zu 40 m erfolgen und damit hätte man dann genau die gleiche Situation,
die 2011 zur Stilllegung des Wasserwerks geführt hat.
Auch hier zeigt ein Zitat aus dem Bewilligungsbescheid (S.17) die Unsicherheit in der Frage
nach der Wirtschaftlichkeit:
„Inwieweit eine Realisierung der Wasserförderung und -aufbereitung zu wirtschaftlichen
bzw. der Allgemeinheit zumutbaren Kosten möglich sein wird, kann nicht im Bewilligungs-
verfahren geprüft und bewertet werden, sondern obliegt der wirtschaftlichen Analyse sei -
tens der Antragstellerin zu gegebener Zeit.“
2.3. Kann ein neues Wasserwerk die Entwässerungsprobleme lösen?
Die Hoffnungen und Erwartungen der Befürworter eines neuen Wasserwerks in Delmen-
horst, durch die Entnahme von Grundwasser die Entwässerungsproblematik in den
Graftanlagen und den angrenzenden Wohnquartieren zu lösen, lassen sich durch die gut-
achterlichen Grundlagen zum Wasserrechtsantrag der SWD nicht verifizieren. Im Interesse
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einer sicheren und hygienischen Wasserversorgung müssen zudem die Förderbrunnen so
ausgebaut und betrieben werden, dass eine Mitförderung von schnell zusickerndem Ober-
flächenwasser soweit wie möglich ausgeschlossen wird, also gerade möglichst wenig Ober-
flächenentwässerung stattfindet.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass die hydrogeologischen Verhältnisse in der Graft
sowie die aufgrund des Klimawandels zunehmende Häufung und Intensität von Starkrege-
nereignissen es unmöglich machen, die Vernässungsprobleme durch das projektierte Was-
serwerk beherrschbar zu machen.
Inzwischen sind von verschiedenen Akteuren hilfreiche Lösungsansätze vorgelegt worden,
so u.a.:
 Machbarkeitsstudie zur Entwässerung der Graftwiesen mit Variantenuntersuchungen
(IDN – Ingenieurdienst Nord, 2013).
 Wiederherstellung einer funktionsfähigen Oberflächenentwässerung der Graft mit
Ableitung in die Kleine Delme, um die Versumpfung dauerhaft zu entschärfen (An-
trag der SPD AG 60 plus Delmenhorst an den Rat der Stadt Delmenhorst vom
01.07.2015).
Bereits in der unter Punkt 1 zitierten Stellungnahme vom 20.08.2020 hatte der NABU Del-
menhorst auf das Erfordernis hingewiesen, ein Konzept zur Beherrschung des im Hinblick
auf den Klimawandel verstärkt anfallenden Oberflächen- und oberflächennahe Wassers zu
entwickeln und umzusetzen.
Es ist jetzt dringend geboten, die vorliegenden Ansätze zu einem Gesamtkonzept zusam-
menzuführen und dieses dann zu realisieren.
2.4 Gibt es weitere Probleme?
Neben dem Ausschlusskriterium mangelnder Bedarf“ (siehe unter Punkt 1), dem zur Trink-
wasserförderung ungeeigneten Standort Graft (siehe unter Punkt 2) und der nicht zu erwar -
tenden Entwässerungswirkung (siehe unter Punkt 3) dürfen weitere Aspekte nicht außer-
halb der Betrachtung bleiben:
 Das DVGW-Technologiezentrum Wasser aus Karlsruhe stellt in der Expertise vom
20.01.2017 „Rohwasserbeschaffenheit und Trinkwasseraufbereitung Wiekhorn“ fest,
dass der Wasserchemismus Wiekhorn eine komplexe Aufbereitungstechnologie er-
fordert, die im Vergleich zur Gewinnung Annenheide 2-3-fach höhere Kosten verur-
sachen wird. Hier stellt sich die Frage, wie gegenüber der relativ sozial-schwachen
Bevölkerung von Delmenhorst eine drastische Trinkwasserverteuerung politisch ver-
antwortet werden kann.
 Um das Grundwasser im Gewinnungs- bzw. Einzugsgebiet einer Grundwasserent-
nahme vor nachteiligen Einwirkungen zu schützen, sind Wasserschutzgebiete fest-
zusetzen. Das für das neue Wasserwerk erforderliche Wasserschutzgebiet wird sich
in beachtlichem Umfang auf Siedlungsflächen erstrecken, die ein großes Gefahren-
potential für das Grundwasser aufweisen. Ob und wie hier überhaupt eine wirksame
Wasserschutzgebiet-Verordnung mit weitreichenden Beschränkungen und Verboten
gegenüber den Grundeigentümern erstellt und rechtskräftig werden kann, setzt ei-
nen langwierigen und konfliktreichen Planungs- und Abstimmungsprozess voraus.
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 Das kommunale Haushaltsrecht fordert bei Investitionen von erheblicher finanzieller
Bedeutung – und dazu gehört zweifellos die Errichtung eines Wasserwerks - einen
„Wirtschaftsvergleich unter mehreren in Betracht kommenden Möglichkeiten“. Diese
haushaltsrechtliche Anforderung hat die Stadt Delmenhorst bisher ignoriert - deshalb
muss noch mit einer entsprechenden Reaktion der Kommunalaufsicht gerechnet
werden.
3. Fazit
Die Fachkompetenz für die Sicherstellung der Trinkwasserversorgung für Delmenhorst liegt
zweifellos bei den Stadtwerken Delmenhorst. Auch der NABU Delmenhorst verfügt über
eine beachtliche fachliche Expertise im Bereich der Wasserwirtschaft mit einem Diplom-Bio-
logen, einem Diplom-Geographen und einem promovierten Bauingenieur und wird dabei
durch externe Berater unterstützt.
Auf der Grundlage sämtlicher vorliegender Erkenntnisse sind die vorstehend auf-ge-
führten Fachleute zu dem eindeutigen Ergebnis gelangt, dass ein Bedarf für ein neu -
es Wasserwerk in Delmenhorst nicht gegeben ist - die Trinkwasserversorgung für die
Bevölkerung also langfristig gesichert werden kann.
Für den NABU Delmenhorst ist es nicht nachvollziehbar, wie verschiedene Akteure ohne
Fachkompetenz bemüht sind, die Bevölkerung mit wissenschaftlich nicht haltbaren Argu -
menten vor allem bezüglich der Vernässungsproblematik zu verunsichern und die Ratspoli-
tik auf ihren verhängnisvollen Kurs zu führen.
Der NABU Delmenhorst appelliert den Rat und die Verwaltung der Stadt, ihre Blocka-
dehaltung gegenüber neuen Erkenntnissen (Bevölkerungsentwicklung, Verbraucher-
verhalten, geänderte Rechtsgrundlagen, Klimawandel usw.) aufzugeben und in eine
umfassende Überprüfung des bisherigen Planungs- und Entscheidungsprozesses zu
einem neuen Wasserwerk einzutreten. Hier wird auch die Vergabe einer qualifizierten,
wissenschaftlich fundierten Machbarkeitsstudie unumgänglich sein. Nur so wird ein
irreparabler Schaden für die Stadt und ein Eingreifen der Kommunalaufsicht zu ver-
meiden sein.

NABU Delmenhorst e.V.
Weitergehende Informationen erteilen:
Prof. Dr. Gerd Turowski
E-Mail: gerd.turowski@t-online.de
Dipl. Geograph Nicolaus Behrmann
Tel.: 0152 230 568 11
E-Mail: Nicolaus_Behrmann@hotmail.com