Neubau der Bundesstrasse 212 von Berne-Harmenhausen bis zur Landesgrenze Niedersachsen/Hansestadt Bremen
hier: Stellungnahme des NABU Delmenhorst vom 26.9.2007
Der NABU Delmenhorst gibt zum Raumordnungsverfahren für die B 212n von Harmenhausen bis Landesgrenze Nds./Bremen folgende Stellungnahme ab:
1. Formales
Die Lesbarkeit und Nachvollziehbarkeit der Unterlagen sind nicht unerheblich dadurch erschwert, dass die unterschiedlichen Materialien nicht in vollem Umfang miteinander harmonisiert sind:
Die Materialien weisen einerseits erhebliche Redundanzen auf, andererseits fehlen in einigen Materialien wichtige Informationen, wie z.B. die geplante Vierspurigkeit der B 212n auf dem Abschnitt
zwischen der L 875 bei Sandhausen und dem Anschluss mit der A 281.
Die Karten haben unterschiedliche kartographische Grundlagen und Maßstäbe und weisen unterschiedliche Detaillierungsgrade auf.
Anzahl, Lage und Bezeichnung der Alternativen sind nicht einheitlich. So sind in die FFH-Vorprüfung lediglich zwei Alternativen eingestellt, eine davon mit der bis dahin unbekannten Bezeichnung
„opt. Variante 3“.
Offensichtlich hat es bei der Erstellung der Materialien durch die verschiedenen Bearbeiter keine hinreichende Koordinierung und Abstimmung gegeben. Es drängt sich deshalb der Verdacht auf, dass
mit der Unübersichtlichkeit und erschwerten Lesbarkeit der Materialien eine gezielte Strategie verfolgt wird, um die Transparenz der Ableitung der Ergebnisse für Dritte zu erschweren.
2. Problemdarstellung
Die seinerzeit von den Ländern Bremen und Niedersachsen einvernehmlich festgelegte Grobtrassierung der B 212n sieht als bremisch-niedersächsischen Grenzübergabepunkt den Bereich Mühlenhaus vor
und liegt vollständig außerhalb des Territoriums der Stadt Delmenhorst. Diese abgestimmte Planung wurde von der Stadt Bremen in die Darstellungen seines Flächennutzungsplanes aufgenommen.
Ohne Rücksichtnahme auf diese Planung hat das Land Bremen die Festlegung des Gebietes Niedervieland als Europäisches Schutzgebiet veranlasst und damit eine Konfliktsituation mit der Planung der B
212n entstehen lassen.
Die Träger der Planung der B 212n in Bremen und Niedersachsen haben sich entschlossen, die Kollision der Planung der B 212n mit dem Europäischen Habitatschutzrecht dadurch zu vermeiden, dass die
Trassenführung der B 212n vom Anschlusspunkt mit der A 281 so weit als möglich über das Gebiet der Stadt Delmenhorst zu führen ist. Die Planungsträger begründen diese Strategie auf der Annahme,
dass das betroffene Delmenhorster Gebiet im Gegensatz zum Niedervieland nicht dem strengen Europäischen Schutzregime unterliegt und allein deshalb für die Realisierung der B 212n in Anspruch
genommen werden kann.
Diese formalrechtliche Begründung greift zu kurz und ist aus Sicht des NABU Delmenhorst in keiner Weise zu akzeptieren.
3. Begründung
3.1 Natur und Landschaft
Es ist nicht nachvollziehbar, dass die Abgrenzung des Europäischen Schutzgebietes identisch ist mit der bremisch-niedersächsischen Grenze. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Schutzwürdigkeit
des bremischen Gebietes auch im angrenzenden Delmenhorster Gebiet gegeben ist. Dies ist ein klares Indiz für eine fehlende bremisch-niedersächsische Abstimmung, die sich jetzt zu Lasten der Stadt
Delmenhorst auswirken kann.
Die UVS zur Planung der B 212n vom Juli 2007 belegt die hohe ökologische Bedeutung des Delmenhorster Gebietes in überzeugender Art und Weise.
Danach verläuft die vom Verfahrensträger des ROV favorisierte Trasse auf einem Delmenhorster Gebiet, welches durch eine Konzentration von höherwertigen Biotypen/Biotoptypengruppen gekennzeichnet
ist. So wird diesem Gebiet eine hohe Bedeutung für sieben streng geschützte Fledermausarten zuerkannt. Gleiches gilt für 16 Rote Liste-Arten von Brutvögeln, für Gastvögel in Bezug auf Arten- und
Individuenzahlen sowie für Amphibien im Bereich der Braken bei Sandhausen und der Umgebung der Waldes Hemmelskamp. Der NABU Delmenhorst hat darüber hinaus Erkenntnisse, dass in diesem Gebiet die
Rohrdommel vorkommt (Rote Liste Nds./HB 1).
Die geschlossenen Gehölzbestände haben eine hohe Bedeutung für das Landschaftsbild in diesem Gebiet. Der NABU Delmenhorst weist darauf hin, dass dieser Landschaftsraum auch für das Stadtklima von
Delmenhorst von Bedeutung ist.
Von kulturhistorischer Bedeutung ist in diesem Gebiet der Plaggenesch als anthropogener Bodentyp, der eine historische Landnutzungsform darstellt.
Insgesamt stellt die UVS für dieses Gebiet eine sehr hohe Konfliktdichte bzw. einen sehr hohen Raumwiderstand fest. In der Schlussbetrachtung stellt die UVS fest, dass alle vier Varianten zu
deutlichen nachteiligen Umweltauswirkungen führen.
Damit bestätigt die UVS die Erkenntnisse des NABU Delmenhorst über die für die Gesamtstadt überragende Bedeutung dieses Gebietes für Natur und Landschaft. Allein aus naturschutzfachlicher Sicht
ist also der Bau einer neuen Bundesstrasse auf Delmenhorster mit Nachdruck abzulehnen.
3.2 Stadtentwicklung
Neben den Erfordernissen von Natur und Landschaft, die einer Trassenführung der B 212n auf Delmenhorster Gebiet entgegenstehen, kann die Stadt Delmenhorst auch aus Gründen der Stadtentwicklung
keine zusätzliche übergeordnete Verkehrsstrasse auf seinem Gebiet aufnehmen.
Dies gilt zum einen für die negativen Zerschneidungseffekte des Delmenhorster Stadtgebietes. Gemäß Erläuterungsbericht zum ROV ist es auch ein Ziel der B 212n, eine Entlastung der Ortschaften
entlang der L 875 herbeizuführen, was zu einer deutlichen Verbesserung der Lebens- und Wohnqualität führen wird. Diese verkehrs- und umweltpolitisch richtige Zielsetzung wird der Stadt
Delmenhorst von dem Verfahrensträger verweigert. Mit der Aussage des Erläuterungsberichtes zum ROV, dass im Bereich Deichhausen/Sandhausen sämtliche vier Trassenalternativen den Siedlungsbereich
kreuzen, wird anstatt der propagierten Entlastung eine Durchtrennung des Stadtraumes vollzogen. So räumt der Planungsträger in seinem Erläuterungsbericht ein, dass die Trasse die Möglichkeiten
späterer Ortentwicklungen im Bereich Deichhausen/Sandhausen einschränken und ein Zusammenwachsen von Siedlungsteilen hier nicht möglich sein wird.
Der Zerschneidungseffekt wirkt sich auch auf die Schienenstrecke Delmenhorst-Lemwerder aus, die ihre Durchgängigkeit verlieren wird, da gemäß Erläuterungsbericht kein Kreuzungsbauwerk mit der B
212n vorgesehen ist. Zwei der vier Trassenalternativen sollen in einem Teilabschnitt sogar direkt auf der Bahntrasse verlaufen. Dies würde alle Überlegungen zu einer Aktivierung der
Schienenverbindung Delmenhorst-Lemwerder erheblich erschweren bzw. unmöglich machen.
3.3 Naherholung
Des Weiteren bedeutet die von dem Planungsträger verfolgte Trasse eine erhebliche Beeinträchtigung eines wichtigen Naherholungsraumes für die Delmenhorster Bevölkerung. Dies ist ablesbar im
Flächennutzungsplan uns auch im Landschaftsrahmenplan (50 % des Gebietes ist LSG).
3.4 Verkehr
Bereits zum gegenwärtigen Zeitpunkt gehen von dem motorisierten Individualverkehr die mit Abstand größten Belastungen für die Bevölkerung in den verdichteten Räumen aus. Mit dem Bau der B 212n
wird sich nach der aktualisierten Verkehrsprognose vom Dezember 2006 die Verkehrsmenge auf der L 875 im Bereich Neuendeel verdoppeln, der LKW-Verkehr sogar mehr als vervierfachen. Mit einer
zukunftsfähigen, auf Verkehrsvermeidung ausgerichteten Planungs- und Umweltpolitik ist eine derartige Entwicklung unvereinbar. Die von dem prognostizierten zusätzlichen Verkehr ausgehenden
Belastungen für die Delmenhorster Bevölkerung sind deshalb nicht zu verantworten.
4. Übergabepunkt
Der Konflikt der Planung der B 212n mit den Belangen der Stadt Delmenhorst ist letztendlich darauf zurückzuführen, dass sich der Planungsträger für den Bereich „Stromer Landstrasse“ als
bremisch-niedersächsischen Übergabepunkt entschieden hat.
Gemäß Erlass des MI vom 4.9.1997 sollte die Landesplanerische Feststellung vom 30.9.1996 zu gegebener Zeit einer raumordnerischen Überprüfung unterzogen werden, wobei insbesondere die
alternativen Übergabepunkte „Mühlenhaus“ und „Stromer Landstrasse“ weiterhin als diskussionsfähige Lösungsmöglichkeiten offen bleiben sollten. Dies wurde in der Antragskonferenz vom 22.3.2004
bestätigt. Entgegen der ministeriellen Maßgabe und der Bestätigung durch die Antragskonferenz hat der Planungsträger nicht beide Übergabepunkte in das ROV eingestellt, sondern in einer
Grobprüfung vom 27.7.2007 den Übergabepunkt „Mühlenhaus“ von der weiteren Planung ausgeschlossen.
Aus der Sicht des NABU Delmenhorst ist es nicht zu akzeptieren, dass über die ganz wesentliche Planungsfrage des Übergabepunktes in einer Grobprüfung entschieden wird. Offensichtlich soll mit
dieser Strategie der von den bremischen und niedersächsischen Planungsträgern von vornherein diskriminierte Übergabepunkt „Mühlenhaus“ frühzeitig eliminiert werden.
Im Übrigen wird festgestellt, dass die Variantenbeurteilung schwerwiegende methodische und inhaltliche Mängel aufweist. Die Variantenbeurteilung stützt sich auf einen nutzwertanalytischen
Bewertungsansatz ab. Die Nutzwertanalyse ist im Gegensatz zur Kosten-Nutzen-Analyse ein nichtmonetäres Bewertungsverfahren, bei dem erst nach Ermittlung der dimensionslosen Nutzwerte der zu
bewertenden Alternativen diese (Nutzwerte) den jeweiligen Kosten gegenübergestellt werden. Die direkte Integration von Kosten in die Nutzwerte ist methodisch unzulässig. Von daher ist die
Einbeziehung von Kosten in das Kriterium „Straßenbau und Verkehr“ ein methodischer Verstoß in entscheidungstheoretischer Hinsicht.
Darüber hinaus fehlt ein transparentes und nachvollziehbares Zielsystem, das bis zu operationalen Kriterium konkretisiert ist. So erscheinen die sechs „Themenfelder“ als nicht rational
abgeleitete Bewertungskomplexe, die z.T. unzulässige Nutzenabhängigkeiten aufweisen.
Ganz wesentlich wird das Gesamtergebnis durch die z.T willkürlich erscheinende Vergabe von Bewertungspunkten bestimmt. Dies gilt in besonderem Maße für die Themenfelder Straßenbau und Verkehr
sowie Siedlung. So kann die Variante d1 gegenüber der Varianten s1 aus der Sicht des Verkehrs (unter Ausschluss der Kosten) als bessere Lösung gewertet werden, da sie den direkten Weg von Bremen
in die Wesermarsch nimmt , also einen geringeren verhaltenspsychologischen Raumwiderstand aufweist und deshalb seinerzeit von beiden Ländern als optimale Trasse festgelegt worden ist. Auch im
Themenfeld Siedlung ist die höhere Bewertung der Variante s1 gegenüber der Varianten d1 nicht gerechtfertigt. Es sind ja gerade die Belange der Stadtentwicklung, die aus der Sicht der Stadt
Delmenhorst für die Variante d1 und gegen die Variante s1 maßgeblich sind.
Wenn die Fehleinschätzungen der Grobprüfung korrigiert werden, ergibt sich für die Variante d1 zumindest eine Gleichwertigkeit gegenüber der Varianten s1.
Als Ergebnis wird festgestellt, dass der Ausschluss der Varianten d1 von dem weiteren Planungsprozess nicht gerechtfertigt ist. Somit ist ein fehlerhaftes Ergebnis des ROV vorprogrammiert. Wenn
hier keine Korrektur erfolgt, wird ein belastbarer Planfeststellungsbeschluss nicht zu erreichen sein.
5. Gesamtergebnis
Insgesamt stellt der NABU Delmenhorst fest, dass die von den Planungsträgern vorgelegte Trassenführung der B 212n über Delmenhorster Gebiet weder raumverträglich im Sinne des Raumordnungsgesetzes
als noch umweltverträglich im Sinne des UVP-Gesetzes zu bewerten ist. Darüber hinaus kann diese Trassenführung auch nicht als zumutbare Alternative im Sinne einer Alternativlösung gemäß Art.6
Abs.4 FFH-RL bewertet werden.
Der NABU Delmenhorst lehnt deshalb sämtliche vier über Delmenhorster Stadtgebiet verlaufenden Trassenvarianten des ROV mit großem Nachdruck ab.
6. Schlussbemerkung
Der im Bedarfsplan für die Bundesfernstrassen für die B 212n festgelegte „besondere naturschutzfachliche Planungsauftrag“ muss nach Auffassung des NABU Delmenhorst zu einem negativen Ergebnis
führen, d.h. die Realisierung der B212n ist im Bereich der Stadt Delmenhorst auch nach Maßgaben der Normen der Bundesfernstrassenplanung nicht gegeben. Damit verbleibt aus der Sicht des NABU
Delmenhorst nur die Null-Variante, also der Verzicht auf den Bau der B 212n. Da für die Nullvariante eine deutliche Verkehrsabnahme für die Stadt Delmenhorst prognostiziert wird, wird somit auch
die verkehrs- und umweltpolitische Zielsetzung „Verkehrsvermeidung“ erfüllt. Zugleich wird die Nullvariante den finanziellen Rahmenbedingungen gerecht, da der Bundesverkehrswegeplan deutlich
unterfinanziert ist.
Im Namen des Vorstandes des NABU Delmenhorst erstellt.
Prof. Dr. Gerd Turowski